Vereinschronik

Beleuchtung Arena auf Schalke

Wir schreiben das Jahr 1975 n. Chr. Das ganze Johannland ist von den Fans der Bayern und den neongelben Anhängern eines kleinen Vereins aus der Nähe von Lüdenscheid besetzt. Das ganze Johannland? Nein! Ein von unbeugsamen Schalkern bevölkertes Dorf hört nicht auf, den Eindringlingen Widerstand zu leisten. Das Leben ist nicht leicht in jenen Tagen für die neun standhaften Knappen Gilbert Heupel, Paul Bender, Werner Steiner (Mobby), Hubert Müller (HeHe), Heinz Gräbener, Gerhard Wagener, Herbert Nogaitzik, Rainer und Hans-Jürgen Barthel.

Zwar liegt der letzte große Erfolg des FC Schalke 04 mit dem zweiten Pokalsieg (5:0 gegen den 1. FC Kaiserslautern am 1. Juli 1972 in Hannover) nur wenige Jahre zurück, aber die Wunden des Bundesliga-Skandals sind noch nicht vernarbt. Wie fast immer, wenn der deutsche Fußball Negativ-Schlagzeilen produziert, sind die Schalker dabei, als ein hessischer Südfrüchte-Händler mit rauschenden Tonbandaufnahmen die Lawine aus Bestechung, Lug und Trug ins Rollen bringt. Schalke findet nicht mehr auf dem grünen Rasen, sondern in den Gerichtssälen statt.

In diesen schweren Zeiten schlägt 1975 die Geburtsstunde des Schalke-Fan-Clubs „Oberes Johannland“. Durch den in Krombach gebrauten Zaubertrank, den Vereinswirt Gilbert Heupel (war zudem jahrzehntelang als Kassierer tätig) im Gasthof „Zum Wiesental“ in Helgersdorf kredenzt, kräftig gestärkt, machen sich die neun „Knappen“ an den Aufbau einer widerstandsfähigen königsblauen Zelle. Richtungsweisend ist die Vereinssatzung: Beim wöchentlich von jedem Mitglied abzugebenden Spieltip darf unter keinen Umständen gegen den S 04 getippt werden. Den Weitblick dieser trefflichen Regelung, die zudem bei Niederlagen der Kasse einen warmen Regen beschert, beweist nicht zuletzt jener unvergessene Samstag im Jahre 1976, als die Schalker den Bayern im Münchner Olympiastadion eine deftige 7:0-Klatsche verabreichen. Viermal trifft allein Klaus Fischer.
1976 betritt ein Mann in Helgersdorf die Bühne, der sich große Verdienste um den Fan-Club erwirbt. Edgar Birkner, eine im Johannländer Vereinsleben gestählte Führungspersönlichkeit, beginnt sein Engagement für die Helgersdorfer Knappen als Beisitzer. Bereits 1979 rückt er als Präsident an die Spitze des aufstrebenden Vereins. Natürlich erkennen auch die Verantwortlichen in Gelsenkirchen schnell „Ede“ Birkners Qualitäten. So versucht noch während der bis dato letzten Schalker Führungskrise 1994, die Oppositonsgruppe „Strickliesel“ den „Amerikaner“ in Gelsenkirchen zu inthronisieren. Den Ehrentitel „Amerikaner“ verdankt Edgar Birkner übrigens S 04-Manager Rudi Assauer und seiner sympathisch-beruhigend daherollenden Aussprache des wichtigsten Siegerländer Buchstabens.

Bereits in jenen ersten Jahren beschränken sich die Aktivitäten des Fan-Clubs nicht allein auf den Besuch der Heimspiele des FC Schalke 04. Nicht nur bei den zahlreichen Veranstaltungen im „Wiesental“, bei denen Gilbert Heupel durch zwangloses Verteilen des Zaubertranks (auf neudeutsch auch gesundheitsbewußt Krombacher Fruchtzwerge genannt) in ungeahnte Höhen treibt, beweisen die Mitglieder ihr Standvermögen. Bei Skat- oder Schießwettbewerben messen sich die Schalker (durchaus mit dem einen oder anderen Erfolg) mit den übrigen Dorfvereinen. Daß ein eigenes Fußballteam mit viel Erfolg (u.a. Deutscher Vizemeister aller Fan-Clubs)am Ball ist, versteht sich wohl von selbst.

Sportlich haben die Johannländer auch in den 80ern nicht viel zu lachen. Nach dem kurzen Hoffnungsschimmer des Vizemeister-Titels 1977 verdienen sich die „Knappen“ den „Ehrentitel“ Fahrstuhl-Mannschaft. Es geht rauf und runter, mit der einen oder anderen Sternstunde dazwischen, wie dem (6:6-Pokalkrimi gegen Bayern 1984 mit dem jungen Olaf Thon. Ob Erste Liga oder Unterhaus, die Johannländer fahren nach wie vor auf Schalke. Per PKW oder ganz komfortabel per Bus. Unter keinem guten Stern steht 1988 der Start des neuen Fan-Club-Geschäftsführers Lothar Büdenbender, der mit Edgar Birkner ein traumhaftes Angriffs-Duo in der Vereins-Sturmspitze bildet. Die Schalker verabschieden sich als Tabellenschlußlicht für mehr als eine Saison in die Zweite Liga.
Wenig später droht sogar der Absturz in die Amateur-Oberliga. Da sträubt sich jedem Schalker das blau-weiße Fell. Dann besteigt Günter Eichberg, genannt der „Sonnenkönig“, den Thron auf Schalke. Unvergessen ist Eichbergs Auftritt beim Regionaltreffen am 11. Mai 1992 in der Salchendorfer Johannlandhalle. Mehr als 400 Menschen berauschen sich an den rhetorischen Künsten des „Sonnenkönigs“, der den Fans eine goldenen Zukunft verspricht. Was daraus fast gworden wäre, wissen wir inzwischen alle. In den 90er Jahren werden die beliebten Busfahrten ins Parkstadion (Gäste sind herzlich willkommen, Hooligans müssen draußen bleiben) zur festen Einrichtung.

Bereits 1988 schließt sich der Fan-Club „Oberes Johannland“ dem Dachverband der Fan-Clubs des FC Schalke 04 an. Ein bißchen Traditionspflege: Der Verein aus Helgersdorf ist der älteste dem Dachverband angeschlossene Fan-Club. Zum 15jährigen Bestehen 1990 veranstalten die Johannländer ein Fußballturnier,, zu dem aus Gelsenkirchen Schalkes damaliger 2. Vorsitzender Herbert Schmitz und Geschäftsführer Dr. Wehrmann anreisen. Unvergessen ist auch der 16. Juni 1991, als der Fan-Club „Oberes Johannland“ zur Aufstiegsfeier - natürlich ganz in blau und weiß - über die Tartanbahn des Parkstadions zieht.

Ein erfolgreiches Jahr ist 1992 für den Fan-Club. Bei einem Benefiz-Fußballturnier zugunsten des DRK-Kinderkrankenhauses Siegen kommt der stolze Betrag von 5555 DM zusammen. Inzwischen hat der Club für die Kinderklinik und die Aktion „Nachbar in Not“ der Siegener Zeitung insgesamt mehr als 20 000 DM gespendet. Das ist auch ein Beweis dafür, daß Fußballfans mehr können und auch tun, als Bier trinken und fröhliche Lieder singen. Auch in Sachen Imagepflege geht der Club mit der Zeit. Regelmäßig berichten die

Tageszeitungen und Radio Siegen über die Aktivitäten des Fan-Clubs. Inzwischen ist der jetzige Geschäftsführer Jürgen Barthel sogar im WDR-Fernsehen ein begehrter Interview-Partner.
Auf der Jahreshauptversammlung 1997 geht dann eine Ära zu Ende. Nach 18 Jahren an der Spitze des Fan-Clubs tritt Edgar Birkner, unter dessen Regie der Verein einen enormen Aufschwung zu verzeichnen hatte, zurück. Die dankbaren Mitglieder ernennen „Ede“, der die äußerst seltene Blutgruppe Blau-Weiß 04 positiv hat, zum Ehrenpräsidenten. Nachfolger wird der bisherige Geschäftsführer Lothar Büdenbender, dessen Amt Jürgen Barthel übernimmt. Damit verfügt der Fan-Club über ein prima eingespieltes Duo, das nicht nur vom blau-weißen Virus infiziert ist, sondern auch über viel Erfahrung und Geschick in Sachen Vereinsarbeit verfügt. Jürgen Barthel liefert übrigens auch das definitve Statement in Sachen Schalke 04. Bei der Busfahrt zum UEFA-Cup-Spiel gegen Trabzonspor verdeutlicht Jürgen Barthel einem türkischen Fußballfreund, was es heißt, ein Schalker zu sein: „Mohammed, wenn ich nach Schalke fahre, ist das für mich genauso, als wenn du eine Pilgerfahrt nach Mekka machst!“ Nach dieser überzeugenden, fachlich-fundierten Feststellung besteht kein Diskussionsbedarf mehr.

Apropos UEFA-Cup. Natürlich ist der größte sportliche Erfolg des FC Schalke 04 auch der größte Tag in der Geschichte des Fan-Clubs. Die Johannländer düsen zum Final-Hinspiel mit zwei Bussen über den Schalke-Highway 45 nach Gelsenkirchen. Die riesige Betonschüssel brodelt und droht überzukochen als Marc Wilmots in der 70 Minute das Leder in die Maschen des Tores von Inter Mailand jagt. Das Tor ist wahrlich golden und schafft die Ausgangsbasis für den Finalsieg 14 Tage später im Meazza-Stadion zu Milano. Am 21. Mai 1997, 22 Uhr, startet der Schalke-Fan-Club „Oberes Johannland“ zu seiner ersten Auslandsfahrt. Insgesamt mehr als 130 aus Deutschland rollen in die Lombardei. 30 000 längst heisere Kehlen schmettern später im Stadion den Hit des Jahres: „Steht auf, wenn ihr Schalker seid!“ Wer den Rest nicht kennt, der hat ein Stück Fußballgeschichte verpennt. Schalke siegt im Elfmeterschießen, im „Wiesental“ droht die Großbildleinwand zu kollabieren und im Oberen Johannland läuten die Glocken. Blau und weiß wie lieb’ ich dich... Ihre Vereinstreue demonstrieren die Fans aber auch bei der Revanche gegen Internationale Mailand 1998, die unglücklich in die Hose geht. Aber einmal mehr verkauft sich die Stevens-Truppe auf internationaler Ebene bombastisch. Vorbildlich verhalten sich aber auch die Fans aus dem Siegerland bei Fahrten nach München oder Düsseldorf. Randale ist und bleibt ein Fremdwort. An erster Stelle steht der gemeinsame Spaß an der Freud.

Für einen relativ kleinen Verein wie den Fan-Club „Oberes Johannland“ stellen die Busfahrten, zu den Spitzenspielen werden regelmäßig zwei Fahrzeuge gechartert, natürlich einen großen organisatorischen Aufwand dar. Schließlich gilt es, mehr als 100 Menschen zu betreuen und sicher wieder heim zu bringen. Dank haben aber nicht nur die Aktiven des Vereins verdient, sondern auch die Mitfahrer ( die übrigens nicht zwangsläufig Schalker sein müssen). Nur ganz selten einmal sind bei den Fahrten Streß-Symptone zu beobachten. Etwa dann, wenn Busfahrer Abkürzungen wissen, und um kurz nach 15 Uhr, so zirka 20 Minuten vor Spielbeginn, noch durchs Ruhrgebiet schaukeln. Dann soll sogar ein so ausgeglichener Mensch wie Ehrenpräsident Birkner schon mal einen nervösen Blick zur Uhr riskieren. Kurzum, wir freuen uns bereits auf die nächsten Fahrten und hoffen, unser Team bald in einer neuen Arena anfeuern zu können und hautnah siegen zu sehen.



Apropos hautnah. So kann man den Kontakt des Helgersdorfer Fan-Clubs zur großen Fußballwelt in Gelsenkirchen mit Fug und Recht bezeichnen. Fast alle haben schon den Weg ins Siegerland gefunden. Neben dem entthronten „Sonnenkönig“ Günter Eichberg weilten u.a. schon Manager Rudi Assauer, das unverwüstliche S 04-Faktotum Charly Neumann, Ingo Anderbrügge, Steffen F. (inzwischen nach Lüdenscheid ausgebürgert), Ex-Trainer Jörg Berger und Ex-Goalgetter Klaus Fischer in unserer Mitte. Einen ganz besonderen Kontakt hält der Club aber zu Andy Müller, der inzwischen Ehrenmitglied ist. Andy Müller köpfte den FC Schalke 04 in der allerletzten Minute der Saison 1996/97 mit seinem 2:1 gegen den FC Bayern München in den UEFA-Cup. Bereits zweimal war der sympathische Schwabe, einmal mit der ganzen Familie, Gast auf der Weihnachtsfeier in Helgersdorf. Stundenlang fachsimpeln die Johannländer mit dem defensiven Mittelfeldspieler über den Fußball im Allgemeinen und den FC Schalke im Besonderen.
Der lockere Andy fühlt sich in unserem Kreis sichtlich wohl und ist auch an persönlichen Dingen durchaus interessiert. Von verständlicher Neugier getrieben, versucht er , den amerikanischen Wurrrzeln Edgar Birkners auf die Schliche zu kommen. „Hör mal, Edgar“, fragt Andy den natürlich auf Siegerländer Erz geborenen „Ede“, „wo kommst du eigentlich her aus Staaten? Ein Onkel von mir lebt nämlich auch in Amerika.“ Edgar Birkners blitzschneller Konter: „Aus Wilnsdorrrf, gleich an drrr Autobahn.

Natürlich gibt es von fast jeder Fahrt eine Anekdote zu berichten. Die berühmteste ist sicherlich die von der Irrfahrt durch die Ruhrgebietsmetropole Essen, die im Einsatz eines Überfallkommandos der Polizei gipfelte. Bei der Abfahrt vom „Wiesental“ ist noch alles im grünen Bereich. Die Kronkorken springen wie von selbst von den Krombacher-Fruchtzwergen. Die Stimmung steigt mit jedem Kilometer. Jürgen Teichmann, der das (hoffentlich entschuldigt) fehlende Führungsduo Birkner/Büdenbender vertritt, hat die Truppe und den Chauffeur voll im Griff. Das ändert sich, als die ersten Schlote des Ruhrgebiets in Sicht kommen. Der Pilot beginnt mit seinen Ortskenntnissen zu protzen: „Ich weiß ‘ne Abkürzung.“ Aufkommende Skepsis zerstreut er mit lockeren Bewegungen am Lenkrad. Runter von der Autobahn, rauf auf die Autobahn, rauf auf den Ruhrschnellweg. Wer will schon nach Essen? Plötzlich sind wir da. Jürgen Teichmanns Gesicht verfärbt sich gefährlich. Bläulich-rot. Er versucht zu retten, was zu retten ist. Der Bruchpilot akzeptiert kein noch so gutes Argument der auf dieser Piste erfahrenen Schalke-Fans , sondern verfranst sich immer mehr. Mitten inne Sitti fordert die Natur ihr Recht. Bier will nicht nur getrunken, sondern anschließend auch beiseite geschafft werden. Der Kapitän der Landstraße wirft den Rettungsanker und läuft eine Tankstelle an. Während die Mädels - das hat die Natur nun mal so bestimmt - diszipliniert vor dem einzigen Toilettenhäuschen Schlange stehen, stürmen die Jungs die Büsche.

Wer nun geglaubt hat, die königsblaue Reisegesellschaft sei mit dem chaotischen Busfahrer für diesen Tag genug gestraft, der wird schnell eines besseren belehrt. Ein mit südlichem Temperament und sizilianischen Vorfahren gesegneter Meister der Zapfsäulen betritt die Bühne des Lebens. Wild mit den Armen fuchtelnd (zum Glück war er unbewaffnet) brüllt Luigi die Johannländer an: „Warum habt ihr vor die Toilette gesch...?“ Da der Siegerländer an sich ein ruhiger und friedliebender Zeitgenosse ist, ertragen die Fan-Club-Mitglieder die wüsten Beschimpfungen und Kraftausdrücke des beleidigten Gastgebers mit beispielhafter Geduld.
Alle Geschäfte sind getätigt, der Motor läuft wieder rund und der Anpfiff rückt immer näher. Ist aber nix mit geordnetem Rückzug, ein Überfallkommando der Essener Polizei rückt an. Luigi hat die Staatsmacht um Hilfe gebeten. Der Tatort wird abgesperrt und die Fachleute der Spurensicherung lösen das Rätsel um den mysteriösen Haufen schnell auf. Das „Corpus delicti“ wird von einem fachkundigen Beamten als Hundehaufen identifiziert. Der „Übeltäter“, angeblich ein schwarzgelber Mischling, kann nicht mehr gestellt werden. Zuletzt wird er im Raum Lüdenscheid gesehen.